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Kreuzweg Kreimeyer

Passionsweg Jesu in 14 Stationen

Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Pfarrkirche St. Michael in Velbert-Langenberg (1900 - 2000) wurde diese Kreuzweginterpretation des Künstlers Wilhelm Kreimeyer an der Außenwand der Pfarrkirche installiert. Die Erstpräsentation dieser Arbeit erfolgte im Jahr 1997 in der Fußgängerunterführung direkt neben der St. Michael-Kirche. Anlass war damals die groß angelegte Kunst-Veranstaltung "Tuchfühlung" des Kunsthauses Langenberg, die unter Beteiligung von mehr als 200 eingeladenennstlern im gesamten Stadtgebiet von Langenberg stattfand. Dank einer Stiftungsinitiative hängt der Passionsweg nun dauerhaft an der Pfarrkirche.

Die Idee zu diesem Passionsweg entwickelte sich 1997 im Zusammenhang mit dem gestellten Unterthema "Körper / Gewand / Haus". In der Passionsgeschichte spielen Tücher eine herausragende Rolle. Auch geht es immer wieder um den Körper und seine vielfältigen Verletzungen bzw. um den rper als Träger des Geistigen, als" Haus für das Göttliche".

Tücher tauchen z.B. bei der Handwaschung des Pilatus, bei der Dornenkrönung (Purpurmantel), in Form des Schweißtuchs der Veronika beim Würfeln der Soldaten um die Kleider, als Lendenschurz, den Jesus am Kreuz trägt, als zerreißender Vorhang im jüdischen Tempel und nicht zuletzt in Form des Grablinnen auf.

Traditionell wird der Kreuzweg in 14 Stationen gegliedert. Die Passionsgeschichte Jesu ist dagegen nicht in Stationen unterteilt. Von ihr wird lediglich in Einzelereignissen berichtet, die z.B. Albrecht Dürer in Holzschnitten und Radierungen thematisiert hat. Großteils sind die Bildthemen dieser Passionsdarstellungen mit denen des Kreuzwegs identisch. Letztlich gehen die" Passionsbilder" aber über die Zahl von 14 hinaus. Da im Kreuzweg der Zusammenbruch unter dem Kreuz allein dreimal stattfindet, ist dieses im vorliegenden Passionsweg durch andere Szenen ersetzt worden. Die Zahl 14 ist somit erhalten geblieben. Es handelt sich um eine modifizierte und erweiterte Variante des traditionellen Kreuzwegs:

 

Der PASSIONSWEG JESU in 14 Stationen.

Die Figur Jesus Christus ist die wohl bedeutendste Ikone Europas. Leider bleibt sie in ihrer Bedeutung weitgehend dem Ritual der Kirchen und der Religionsausübung vorbehalten. Diese Kreuzweg- bzw. Passionsweginterpretation versucht dagegen einen Bezug zum realen Leben in der Gegenwart herzustellen, unabhängig von der religiösen Position des einzelnen Betrachters. Täglich begegnen wir in den Medien und im Alltag menschlichem Leid, dessen Verursacher der Mensch selbst ist. Allein die Auseinandersetzung mit diesem Tatbestand bzw. der Versuch, dieses Leid zu überwinden, verbindet uns mit der Person Jesu und verwandelt die Ikone in einen von uns.

 

DIE STATIONEN

Die Symbolsprache der Bilder dieses Passionswegs ist einerseits rätselhaft, andererseits aber auch sehr vertraut, da Elemente in ihr auftauchen, die wir aus unserer Informationsgesellschaft, von Verkehrszeichen oder Firmenlogos her kennen. Die eine oder andere bildnerische Anspielung in den Tafeln erschlit sich mit Sicherheit von selbst. Andere Elemente bedürfen eines kleinen Hinweises, zumal nicht allen Betrachtern die Details aus der Leidensgeschichte Jesu vertraut sein werden.

Das erste Motiv, die Gefangennahme Jesu am Ölberg, ist auf grauschwarze Blockstreifen reduziert, wie wir sie z.B. von der Kleidung von KZ-Insassen her kennen. Damit wird ein direkter Bezug zwischen der neutestamentlichen Gefangennahme und dem Leid zu Unrecht Verfolgter im 20. Jahrhundert hergestellt.

In Station 2, der Geißelung Jesu, sehen wir die Striemen auf dem Rücken des Gefolterten in Gestalt einer Strichliste. Eine Andeutung darauf, wie das Leiden von Menschen heute nicht mehr individuell, sondern nur noch in mathematischer Potenzierung wahrgenommen wird.

In Station 3 wird Jesus die Dornenkrone aufgesetzt und ein Purpurmantel umgelegt. So wird er als König der Juden verspottet. Die Dornenkrone wird hier durch drei X-Kreuze symbolisiert. So entsteht eine offene Assoziationskette zu Christus in seiner doppelten Identität als Mensch und Gott: Die drei X-Zeichen gemahnen an einen Analphabeten, der sich nur hierdurch auszuweisen vermag. Das Thema der Dreieinigkeit scheint ebenso auf wie die vorchristliche Gottesvorstellung in Form von zwei auf die Seite gelegten, ineinander verwobenen Runenzeichen für den Begriff Gott.

In Station 4 spricht Pilatus das Urteil über Christus und wäscht danach seine Hände in Unschuld. Das Piktogramm zitiert das Bild von der "weißen Weste", das auch heute noch sehr populär ist bei jenen, die entscheiden und glauben, für die Folgen ihrer Entscheidung nicht mehr verantwortlich zu sein. Jesus nimmt in Station 5 das Kreuz auf seine Schulter. Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Es stabilisiert den Körper, verbindet Kopf, Körper und Gliedmaße.

Veronika reicht Jesus das Schweißtuch in Station 6. In ihm zeichnet sich das Gesicht Jesu ab. In der gewählten Darstellung wird das Tuch zu einem Spiegel in dem das Piktogramm der Dornenkrone erscheint und in dem wir uns selbst erkennen können. Der Betrachter wird zu dem, der nach der Bedeutung seiner eigenen Existenz fragt.

In Station 7 bricht Christus unter der Last des Kreuzes zusammen.

Station 8: Jesus trifft die Frauen von Jerusalem. Drei Zeichen, drei Tränen. Die Tafel manifestiert die traditionelle Rolle der Frau als Mitfühlende, konterkariert diese aber im selben Moment indem sie sich jenes Zeichens bedient, das für die Emanzipation und Selbstbestimmung der Frau im 20. Jahrhundert steht.

Simon von Cyrene hilft in Station 9, Jesus sein Kreuz zu tragen. Der Helfende erscheint dabei mit beiden Händen am Kreuz fixiert. Solidarisches Handeln beinhaltet stets das Risiko, sich nur schwer wieder von dieser Bürde befreien zu können.

Jesus wird seiner Kleider beraubt: Station 10. Die Soldaten würfeln um das Gewand Jesu und werden damit zu Gewinnlern am Leid anderer. In gewissem Rahmen ist damit auch das Verhältnis der Wohlstandsstaaten zur sogenannten "Dritten Welt" beschrieben.

Station 11: Jesus wird ans Kreuz genagelt. Vier rote X am Rand der Bildtafel bezeichnen die Nagelwunden an Händen und Füßen. Später wird der Speer noch ein fünftes Wundmal hinzufügen. Der weiße Balken steht für den Lendenschurz, der die geschlechtliche Identität überdeckt.

Station 12 stellt den Tod auf Golgatha dar. Der Vorhang im Tempel zerreißt, der Himmel verdunkelt sich angesichts dieses Unrechts. Diesseits und Jenseits schließen sich kurz. Die grafische Ähnlichkeit zum Signet der Kriegsgräberfürsorge ist beabsichtigt.

Die Kreuzabnahme ist das Thema von Station 13. Hier treffen wir auf das Motiv der Pieta, in der sich Maria zur Krankenschwester wandelt. Die Mutter hält ihren toten Sohn und trägt das Kreuz mit: Mutterkreuz.

Die letzte Station: Die Grablegung. Die Möbiusschleife, die liegende Acht, Zeichen für die Unendlichkeit wird durchbrochen. Der Tod wird vor dem Hintergrund des weißen Lakens zu einer Befreiung aus der endlosen Schleife irdischen Leidens.

Jede Bildtafel steht nach diesen Kurzerklärungen für einen kleinen Ausschnitt möglicher Weitsicht unter besonderer Berücksichtigung des Leidens. Eigene Gedanken können den vorgetragenen Ansatz vielfach erweitern. Diese spezielle Passionsgeschichte versucht eine andere Art von Andachts- oder Meditationsbild zu schaffen, das auch dem nicht religiös orientierten Menschen eine Möglichkeit gedanklicher Auseinandersetzung vermittelt. Für den religiös eingebundenen Menschen wird die Person Jesus aus dem historischen Kontext mitten ins gegenwärtige Leben gerückt, dorthin, wo sie im eigentlichen Sinne der Religion auch hingehört.

 

Wilhelm Kreimeyer